Der Blog rund um All Blacks Thun...
- Simon Gfeller & Roland Riedener; alle Bilder aus dem Facebook Account von Simon - Im Büchergestell des Trainingslokals liegt obenauf ein Buch mit dem Titel «Detrás de los horizontes». Und wahrlich, das Buch führt einem hinter einen Horizont, von dem man glaubte, das sei jetzt die Grenze, bis dorthin ist es noch fassbar. Auf der ersten Umschlagseite steht eine Widmung: «Für Stefan von Simon». Hmm, das muss ich mal mitnehmen und schauen, was da drin steht. Simon Gfeller aus Unterlangenegg hat das Buch geschrieben. Simon who? Auf Facebook sehe ich, dass viele All Blacks Thun-Mitglieder mit Simon Gfeller befreundet sind, bin ich etwa selber ein wenig hinter dem Horizont? Ein Text vom Jahr 2017, womit sich Simon vorstellt heisst: «Seither haben sich die Dinge geändert! Ich hätte nie gedacht, dass ich gerne laufen würde, und erinnerte mich daran, dass ich Laufen und Sportveranstaltungen in der Schule als kleine Junger gehasst hatte. Ich war klein, schrecklich schwach, langsam und sehr, sehr mager (ein richtiger Hungerturm unter den «chächen» Bauernbuben, wie er sich später mir gegenüber äusserte. Das änderte sich dann allerdings später, und wie…). Ich hätte nie gedacht, dass Ultra-Trailrunning, jetzt, viele Jahre, später meine Sicht auf Laufveranstaltungen so verändern würde und ich so viel Motivation aufbringen könnte, um Ultra-Langstreckenrennen zu bestreiten. Die Dinge änderten sich, als ich die Schule verliess, aufwuchs und Körper und Geist stärkte. Dann wurde ich in der Schweizer Armee zum Gebirgsjäger-Soldat ausgebildet. Neben anderen Sportarten betrieb ich auch jahrelang Karate und erlangte den schwarzen Gurt. Das alles geschah, bevor ich mit 27 Jahren nach Spanien zog, um die Sprache zu lernen und dort zu arbeiten. Jahre später begann ich zu laufen, um mich in Form zu halten, weil ich wegen einer vor einigen Jahren erlittenen Rückenverletzung nicht mehr Karate trainieren und meinen Lieblingssport ausüben konnte. Und plötzlich fühlte ich mich sehr inspiriert beim Laufen! Das war vor fünf Jahren, als ich mit dem Laufen begann… und eine neue Ära in meinem Leben anfing.» Roland: Dann startete also heute vor 12 Jahren die Karriere von Simon Gfeller, sie brachte ihn an die Spitze der Ultra-Trail Läufer. Wie kommt es zu dieser Widmung an Stefan Dähler im Buch? Simon: Mit Stefan hatte ich viel Karate trainiert. Wir erreichten beide den schwarzen Gurt. Stefan hat danach sogar eine eigene Karateschule gegründet. Roland: Wieso bist du nach Spanien gezogen? Simon: Nach meiner Lehre als Schreiner arbeitete ich nicht mehr auf diesem Beruf, er hat mir einfach nicht zugesagt. Ich arbeitete viel auf dem Bau, wusste eigentlich nicht so recht, was ich wollte. Gerade im Winter sind die Tage lang, du bist immer draussen, es ist kalt, und es ist dunkel, wenn du anfängst, und es ist dunkel, wenn du aufhörst. Spanien hatte mich schon immer angezogen. Ich war jung und wollte noch etwas erleben. Da ging ich mal für drei Monate hin, um die Sprache zu lernen. Und Spanien war ganz anders, der Tagesablauf, die Traditionen und alles. Es läuft immer etwas, es ist immer viel Leben auf der Strasse. Es ist heller, und das gefiel mir sehr. Nach diesen drei Monaten sagte ich mir, das kann es ja nicht gewesen sein. Ich gehe wieder, ich will noch mehr davon und packte die Koffer. Ich hatte den Eindruck, in Spanien sei alles irgendwie viel positiver. Ich lernte meine Frau kennen und fand auch immer Arbeit, meist administrativer Art, sei es im Tourismus, im Handel, in einer Sprachschule oder im Gesundheitswesen. Wir leben in Benalmádena Pueblo, einer Stadt an der Costa del Sol in Andalusien mit 75‘000 Einwohnern. Im Moment lebe ich aber hier in der Schweiz und pendle immer wieder nach Andalusien. Die Prioritäten haben sich verschoben. Meine Arbeit und meine angestammte Familie hier sind der Grund. Hier möchte ich jetzt auch wieder mal Zeit verbringen. Ich habe Grosses erlebt, bin viel herumgekommen, brauche eigentlich läuferisch den Leuten und mir selber nicht mehr viel zu beweisen. So viel habe ich gemacht. Klar, oft denke ich zurück, gerade letztes Jahr, wo ich an vielen Läufen wieder einen der begehrten und limitierten Startplätze bekommen hätte, um mich mit meinen Kollegen zu messen. Roland: Was brachte dich ursprünglich dazu, mit Laufsport anzufangen? Simon: Ich sage mal, aus Langeweile und durch Zufall. Ich mache grundsätzlich gerne Sport und wollte auch in Spanien etwas machen. Einfach nur Fitness ist nicht so mein Ding, ich habe kein Bedürfnis, ohne Ende Muskeln aufzubauen. Da waren aber die Kollegen meiner Frau, die sich regelmässig zum Joggen treffen. «Geh doch auch mal mit!», riet sie mir. Das war der Anfang, es hat mir, zu meinem eigenen Erstaunen, gut gefallen, bis anhin hatte ich mit Laufsport wirklich überhaupt nichts am Hut. Dann habe ich weiter und weiter gemacht, regelmässig. Zwischendurch nehmen meine Laufkollegen an einem sehr populären Lauf in der Gegend teil, es ist eigentlich mehr ein Marsch. Er wird von der spanischen Fremdenlegion organisiert und ist unglaublich populär. Sobald die Anmeldung anläuft, sind tausende von Startplätzen innert Minuten weg. «Jetzt komm doch auch mal mit!», legten sie mir nahe. Ich bin einer, der als Einzelsportler am besten funktioniert, bin eher ein Einzelgänger, nicht gemacht für Sport in einer Gruppe. Aber dann wollte ich doch auch einmal an einem Lauf teilnehmen, einfach für mich selber. Doch ich fand gerade nichts Geeignetes in der Gegend ausser einem 124 km Lauf. Da meldete ich mich sofort an. Mein erster Lauf überhaupt sollte es werden. «Geht es eigentlich noch? Du spinnst wohl! Fang doch mit etwas Normalem an, einem 10er oder einem Halbmarathon! Du kannst doch nicht gleich am Anfang eine solche Distanz laufen!». «Nein, nein, ich will etwas Richtiges machen! Das habe ich jetzt so beschlossen». Und es ist mir gut gegangen, sehr gut. Ich wurde 14ter in der Gesamtwertung. Und mir war klar, das liegt mir, diese langen Distanzen, das ist jetzt etwas für mich. Ich schaute mich immer wieder nach langen Läufen um, und als ich sie in Spanien nicht mehr finden konnte, ging ich vermehrt ins Ausland. Im Jahr 2015, startete ich bei meinem ersten Ultra-Trail über eine Distanz von mehr als 200 km. Es war der Hexensteig Ultra-Trial mit Start und Ziel in Osterode im Südosten von Niedersachsen. Er führt über 219 km, und es gab 4‘500 Höhenmeter zu überwinden. Das war mein erster Lauf, an dem ich mich am GPS-Track orientieren musste, weil er nicht ausgeschildert ist. Bekannte Ausdauer-Athleten waren am Start, ich kannte noch nicht viele, schliesslich war ich erst seit 2,5 Jahren in der Szene. Sich vom GPS leiten zu lassen war für mich ungewohnt. Wenn du zum Beispiel beim Aufstieg auf den Brocken (Berg im Mittelgebirge Harz) über ein offenes Schneefeld läufst und nirgends eine Spur siehst, wirst du schon unsicher. Wenn du für Stunden niemanden siehst, beginnst du zu zweifeln. Später bei km 95, nach der Durchquerung eines immensen Waldes, kommt man zu einem breiten, reissenden Fluss. Der Track verläuft entlang des Flusses, super! Erst nach einer halben Stunde merkte ich, dass ich auf der anderen Seite laufen müsste. Das GPS ist mit zu grossem Massstab eingestellt, deshalb habe ich es nicht bemerkt. Zurücklaufen bis zur nächsten Brücke ist angesagt. ¾ Stunden habe ich mit diesem Malheur verloren, dafür wieder viel gelernt, aber auf die harte Tour. Bei Kilometer 105, in Thale, hast du Zugang zu deiner Tasche, die man abgeben konnte. Schuhe und Kleider wechseln und verpflegen ist angesagt; 20 Minuten Pause machen ist mein Plan. Bei Dunkelheit geht es weiter. Zur Orientierung brauche ich immer wieder Zeit, es bricht den Rhythmus, vor allem wenn es parallele Wege und viele Gabelungen gibt. Ich treffe auf Matthias, einen bekannten Athleten, der schon bei einem 4-fach Ironman-Triathlon ganz vorne mitmischte. Er verletzt sich und dachte ans Aufgeben. Bei km 145 hatte ich eine Tankstelle im Kopf, wo ich mir dann einen Kaffee gönnen würde. Um 2 Uhr nachts und bei 2° Aussentemperatur kam ich an. «Geschlossen!», eine 24-Stunden Tankstelle… Weiter geht es, ohne etwas Warmes erhalten zu haben. Micha läuft auf mich auf. Ich merke, er muss nie auf das GPS schauen, er kennt die Strecke, hat den Lauf letztes Jahr gewonnen. Bei meinem Umweg am Fluss hat er mich überholt, in Thale nahm er sich aber mehr Zeit am Verpflegungsposten. Wir harmonieren perfekt, können einen hohen Rhythmus gehen und sind motiviert, obwohl sich die Müdigkeit mehr und mehr einschleicht. Und, wen wundert’s, die Füsse tun weh. Wie soll es weitergehen? Noch nie habe ich mich in diesen Distanzbereich vorgewagt, es ist unbekanntes Terrain! Mehrmals stolpert Micha in der Nacht, er sagt, es sei nichts passiert, aber sein Gesicht verrät den Schmerz. Das rechte Knie macht ihm zu schaffen. Wir gehen vorwärts, sind abgekämpft, gehen aber einfach weiter, reden miteinander, halten die Pace konstant. Es wird wieder Tag, während langen Kilometern geht es komplett flach auf einem ehemaligen Bahntrassee vorwärts. Die ganze Nacht haben wir viel Weg zurückgelegt und kaum Pausen eingelegt. Wir können weit und breit niemanden sehen, weder vor noch hinter uns, d. h. wir sind an der Spitze des Laufs! Bei einem Checkpoint in Andreasberg halten wir nochmals kurz an, um uns für die letzten ca. 20 km zu rüsten. Weiter geht es ohne grosse Schwierigkeiten, wir kommen an verlassenen Checkpoints vorbei, es gilt nur, ein Blatt zu signieren. Mein erster Lauf über 200 km nähert sich dem Ende. Noch 5 km, Micha teilt mir mit, er werde nicht um den ersten Platz kämpfen. Ich akzeptiere, wir haben uns in den letzten Stunden gegenseitig geholfen. Gemeinsam laufen wir durch das Ziel. Mit 31.24 Std. haben wir gar den Streckenrekord unterboten. Wieder ein Ziel erreicht und einen Traum erfüllt! Ich bin zufrieden und dankbar, ein hartes und doch irgendwie angenehmes Wochenende im riesigen Naturpark des Harzgebirges erlebt zu haben. Roland: «Nie wieder!»: ist dir das nicht in den Sinn gekommen? Simon: Nein, es gibt immer wieder neue, reizende Herausforderungen. Ich habe mich reingelebt, gemerkt, dass es mir zusagt und habe einfach weiter gemacht. Mein Körper hat das akzeptiert und sich den Belastungen angepasst, sich immer schnell und gut erholt. Wenn die Freude und die Motivation weg wären, dann hätte alles keinen Sinn, dann ginge es nicht. Es ist nicht nur eine Sache der Physis, sondern auch der Psyche, das ist sogar das Wichtigste. Mir sagen vor allem die 1-Etappen-Läufe zu. Du hast eine Startzeit und eine maximale Finisher-Zeit und dazwischen die Cut-offs, wo sie dich herausnähmen, falls du die vorgegebene Zeit nicht erreicht hast. Alles dazwischen ist dir überlassen. Die Verpflegung, die Ruhezeiten, was ich mit mir trage, was ich in die Stützpunkte gebe, sogenannte Life-Bases. Diese sind dann aber manchmal bis zu 80 km voneinander entfernt. Ich setzte mir also immer wieder neue Ziele. Im Ziel der «EMU 6 Day Race World Trophy» 2018 am Plattensee in Ungarn. Ein 1 km Rundkurs auf einem Campingplatz, komplett flach, alles Asphalt. Wer legt in 144 Std. am meisten Kilometer zurück? Für solche Prüfungen gibt es Spezialisten. Simon sucht das nicht, aber er will es einmal gemacht haben. Die 666 km sind nicht ganz das, was er sich vorstellte, aber immerhin, es waren sechs friedliche Tage! Roland: Auch vom Goldsteig Ultra Race 2017 (im Bayrischen Wald) über 661 km gibt es im Buch «Detrás de los horizontes» einen interessanten Bericht. Der erste Satz: «Eine weitere Bestialität, eine weitere gigantische Herausforderung, die ich im September 2017 in einer wunderschönen Gegend Bayerns, im Südosten Deutschlands, an der Grenze zur Tschechoslowakei, erleben, ertragen und geniessen konnte.» Roland: Und dann, 14 Seiten später, die letzten Sätze (Simon wurde Zweiter Overall): «Ich erreichte das Ziel in Neunburg vorm Wald um 4:44 Uhr, nach 5 Tagen und 16 Stunden war das Goldsteig-Ultra-Race Geschichte. Ein weiterer Traum ist wahr geworden! Was willst du mehr? Ich war einfach nur glücklich!» «Einmal mehr habe ich mich leiten lassen, habe die Energie und Positivität fliessen lassen, sie haben mich auf dieser Reise begleitet, haben mich bei diesem grossartigen und magischen Abenteuer ins Ziel geführt.» Roland: Und welchen weiteren Challenges hast du dich noch gestellt? Da gäbe es noch sehr viel aufzuzählen. Im Buch ist nur ein kleiner Teil aufgeführt, es ging 2019 in den Druck und bis 2022 war ich noch voll dabei. Während 10 Jahren bin ich immer wieder Ultras gelaufen, manchmal mit nur wenigen Wochen Pause dazwischen. Wieso nicht mal eine Strecke mit einer 4-stelligen Streckenlänge wagen, das war auch so eine Spinnerei. Es gibt ein solches Rennen, das Mega-Race über 1001 km, das längste Cross-Country 1-Etappen Rennen der Welt. Das geschafft zu haben gibt mir grosse Zufriedenheit, erst recht mit dem Erreichen des zweiten Platzes. Ein anderes Extrem ist der «TOR330 – TOR DES GÉANTS». Dieser Endurance-Trail geht über 330 km und einer positiven Höhendifferenz von 24‘000 m! Start und Ziel ist in Courmayeur im Aostatal. Du hast 150 Std. Zeit, du bist also auch hier eine ganze Woche von zu Hause weg. Einer der krassesten Läufe für mich ist aber «The Spine» in England. Man sagt von ihm auch «Britains most brutal race». Eine extreme Angelegenheit, eine non-stop-Expedition, die deine Physis und deine Willenskraft aufs äusserste testet. 4mal habe ich teilgenommen, 3mal stand ich auf dem Podest. Roland: Aber über diese harte Ausdauerprüfung möchte ich in einem der nächsten Hefte berichten. Wie sah dein Training aus, solche Distanzen kann man ja nie trainieren. Simon: In den letzten 3 Monaten vor den Läufen habe ich pro Woche zwischen 150 und 180 km trainiert. Ich arbeitete immer 100 %. Routinemässig sah das meistens so aus: +/- 10 km am Morgen vor der Arbeit und der gleiche Umfang wieder am Abend. Am Samstag ein Ruhetag und am Sonntag dann nochmals ca. 50 km. Roland: Hast du alleine trainiert? Simon: Ja, praktisch immer, ich hatte keine Zeit, mich noch mit jemandem zu verabreden, musste jede freie Minute nutzen. Leistungssport ist sehr, sehr zeitaufwändig, es gingen in diesen 10 Jahren auch die ganzen Ferien für die Extremläufe drauf. Ich hatte nie einen Trainer oder einen Coach. Mit der gewonnenen Erfahrung habe ich ständig versucht zu optimieren, auch in Bezug auf die Ernährung. Ich habe mich auch immer wieder mit Leuten ausgetauscht, die so extreme Läufe machen. Wen willst du sonst fragen? Es gibt nicht viele, die über entsprechende Erfahrung verfügen und dich beraten können. Roland: Wie siehst du deine Zukunft?
Simon: Im Moment mache ich läuferisch eine Pause, meine Arbeit ist jetzt hier in der Schweiz und hat Priorität. Ich geniesse es auch, Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Ich mache immer noch Sport, aber weniger auf Wettkampf, sondern mehr auf Genuss. Mein Körper dankt es mir. Die Aussicht geniessen, Leute treffen und Erlebnisse suchen, das steht jetzt im Vordergrund. Momentan bin ich weit weg vom Level, den ich vor 2 Jahren hatte. Ich sage jetzt mal, spätestens wenn ich pensioniert bin, lebe ich wieder voll in Spanien. Es ist auch billiger dort! Es gibt warmes Wetter, das Mittelmeer, unglaublich gutes Essen, alles ist immer frisch, und es ist immerhin noch innerhalb Europas.
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