Der Blog rund um All Blacks Thun...
Von Silvia Stucki & Roland Riedener (Fotos von Roland) Im Leben braucht man ein paar Standbeine die sich ergänzen und uns im Gleichgewicht halten. Mal ist das eine wichtiger, mal das andere. Sie ergeben sich zum Teil von selbst, geprägt durch das Elternhaus, die Schule, den Beruf, das Umfeld oder man baut sich selber solche Beine auf durch Beziehungen und dem Verfolgen eigener Ambitionen. Manchmal braucht es eine Krise, bis man auf die Idee kommt, sich so ein Standbein aufzubauen oder ein bestehendes zu stärken, um wieder ins Gleichgewicht zu kommen. Wir werden dann sozusagen gezwungen, etwas zu unternehmen, um wieder zu unserem Glück zu finden. Dass wir dabei gleich noch ein in uns schlummerndes Talent entdecken, ist natürlich der Idealfall. Und wenn es so gar nicht zu meinen anderweitigen Tätigkeiten passt? Dass dies durchaus gut funktionieren kann lebt uns Silvia Stucki vor. Sport – zielorientiert, anstrengend, diszipliniert, fokussiert, körperlich, genau, Regeln, gegebene Abläufe. Kunst – sinnlich, geistig, Inspiration, Freiheit, keine Regeln, eigene Interpretationen, keine Vorgaben, spontan. Silvia Stuckis Freude an körperlicher Betätigung und über ein gutes Laufresultat konnte ich an unzähligen Trainings und Laufveranstaltungen schon vielfach spüren. Aber ein anderes Standbein, die Freude an Kunst, das Talent zum Malen, wie ist das entstanden? Mit einem Besuch in ihrem Atelier in Interlaken wollte ich mehr über ihre künstlerische Seite entdecken. Ein unerwartet grosser, heller Raum erwartet mich. Arbeitstische, Malutensilien, Bilder geschmackvoll an den Wänden aufgemacht und reihenweise am Boden stehend, Couch, Kaffeemaschine, Atelierstaffelei mit einem grossen Niesen, über allem der leicht beissende Geruch von trocknender Farbe. Das ist der erste Eindruck. Nach einer langen verletzungs- und coronabedingten Pause, während der wir uns nicht mehr sahen, hat mir die Künstlerin ihre Tür geöffnet. Roland: Wann hast du dein Talent zum Malen entdeckt? Silvia: Ich weiss nicht, ob die Lieblingsbeschäftigung meiner Kindheit, das stundenlange Ausmalen von Kinderbüchern, schon der Einstieg war. Auf jeden Fall trat diese Beschäftigung später beim Erwachsen werden in den Hintergrund. Erst die seelische Not nach der Scheidung ebnete mir viel später den Weg zurück zu meiner Begeisterung für das Malen. Ich zügelte damals nach Biel und lernte zufälligerweise einen Künstler kennen. Er erklärte mir seine Techniken und seinen Stil, und ich durfte sein Atelier benutzen. Schnell begann ich selber zu experimentieren. Ich merkte, wie gut es mir dabei ging, wie ich dadurch für eine Weile alles um mich herum ausblenden konnte, wie schnell ich dabei in jeder Hinsicht Fortschritte machte. Seither ist das Malen ein Teil von mir, je nach anderweitiger Beanspruchung mit ganz unterschiedlicher Intensität. Ich besuchte zahlreiche Aus- und Weiterbildungen in unterschiedlichsten Techniken bei verschiedenen Kunstschaffenden und Ausbildungsinstitutionen. Roland: Was bedeutet das Malen heute für dich? Silvia: Malen entführt mich aus der Realität in die Stille und Weite einer anderen Welt, führt mich in Unbeständiges und Unergründliches, in Geheimnisse, Träume, in ein Meer von Nichts, in ein Gefühl der völligen Vertieftheit und unbegrenzten Freiheit, in der nichts muss, aber alles darf, in der es kein richtig oder falsch gibt. In eine Welt nur für mich. Roland Wie würdest du heute deinen Stil beschreiben? Silvia: Mein Stil ist geprägt durch Überlagerung sorgfältig aufeinander abgestimmter Farbnuancierungen. Vordergründig steht die Harmonie. Aber nichts ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Bei näherem Betrachten sind die Zerbrechlichkeit, die Spuren des Verfalls, die Narben, Risse und Verletzlichkeiten deutlich sicht- und spürbar. Das Geheimnisvolle verbirgt sich in der Tiefe, das Schöne oftmals unter der Oberfläche. Meine bevorzugten Farben sind Grau-, Weiss-, Schwarz- und Blautöne. Das Laute und Schrille, das Knallige liegt mir nicht und entspricht wohl auch nicht meinem Naturell. Ich mische alle Farben selber, diese einfach aus der Tube zu nehmen, das geht gar nicht. Ich arbeite meist auf Leinwand, bei kleineren Formaten auch auf Holz, Karton und Papier. Silvia nimmt einen Kübel, platziert mit einer Spachtel ein paar Züge einer fetten, weissen Masse auf ein grosses, auf dem Boden liegendes Bild. «Warum so beschwerlich», frage ich. «Warum nimmst du das Werk nicht auf einen Tisch?» Das geht nicht mit einem Bild dieser Grösse. Dann kann ich es nicht richtig als Ganzes sehen, dann stimmt die Optik nicht. Wegen den Materialen, die ich benutze, müssen meine Bilder liegen, wenn ich daran arbeite. Ist es zu gross, um auf einem Tisch die ganze Fläche zu erreichen, muss ich es auf dem Boden machen, dann sehe ich es auch perspektivisch richtig. Wenn ich mit einem Anstrich fertig bin, kann ich diesen noch Ritzen oder Formen reinmachen. In ein paar Tagen, nach dem Trocknen, wird dann das Bild ganz anders aussehen. Die Farben verändern sich, es können auch Risse und Dellen entstehen. Wenn ich dann weiter arbeite, lasse ich mich vom vorhandenen inspirieren, übermale es wieder, bringe teilweise darunterliegendes erneut hervor, ein richtiges Abenteuer. Ich experimentiere teils auch mit Papier-, Stoff- und Fotocollagen. So entsteht Schicht für Schicht das Bild. Jedes Exemplar ist ein Experiment, so wie ich das ganze Leben als ein Experiment betrachte. Ich mache immer weiter und übermale wieder und wieder, bis das Bild für mich stimmt. Beim Anschauen muss es den Betrachter inspirieren. Man erkennt Zerbrechlichkeit, Spuren des Verfalls, Narben, Risse und Verletzlichkeiten sind sicht-, aber auch spürbar. Roland: Wo inspirierst du dich? Silvia: In der unerschöpflichen Quelle der Natur. Ich streife durch das Land und halte mit dem Fotoapparat Motive fest, die in tausenden, kaum sichtbaren Kleinigkeiten einfach da liegen – am Wegrand, im Wald, am Wasser, in den Bergen, den Wolken, überall. Sie dienen mir in Form, Struktur, Farbe und Komposition als Vorlage zu meinen Bildern. Steinmaserungen, Wasserspiegelungen, Baumrinden, verwitterte Gemäuer und Holzwände, rostiges Metall, Abdrücke im Sand, Felsformationen, Eis-, Schnee- und Nebellandschaften. All diese Sachen faszinieren mich, vor allem die Zeugen und Spuren des Verfalls. Roland: Da kommt mir ein Trainingslauf in der Weihnachtszeit nach Aeschiried in den Sinn. Seit Tagen lag in Thun dichter Nebel. Auf unserem Weg nach oben lichtete er sich dann kurz vor Aeschi. Die ganze Gruppe genoss die Sonnenstrahlen und gab ihrer Freude über die klare Sicht auf die Berge Ausdruck. Nicht so Silvia, für sie war diese neue farbgenprächtige Ansicht der Berge langweilig, bewegungslos, starr und nicht inspirierend. Im Nebel aber sei es interessant und magisch. Nun, so kann man es auch sehen… Silvias Bilder sind abstrakte Bilder, sie sind eine Komposition mit Farben, Kontrasten und Oberflächenstrukturen ohne absichtliche Abbildung von Gegenständen. Wie kommt es denn dazu, dass du im Moment so viele Bilder in allen Grössen vom Niesen malst? Silvia:
Es geht Jahre zurück auf einen Besuch vom Seaside Festival in Spiez. Während der ganzen Zeit hatte ich den Niesen vor mir. Eine Woche danach war ich wieder im Atelier und begann zu malen. Dabei ist eine Art Niesen entstanden, es ist einfach aus mir herausgekommen. Meine Bilder entstehen, während ich diese male, ohne dass ich mir zuvor etwas Gegenständliches vornehme. Dieses Bild verschenkte ich dann später. Prompt bereute ich es danach, ich vermisste das Bild. Das gibt es immer wieder. Bei manchen Bildern überlege ich mir vor dem Verkauf, ob ich es wirklich weggeben soll. Später kontaktierte mich eine Kollegin. Sie habe bei mir mal so ein Niesenbild gesehen, ob ich ihr nicht ein solches malen könne. Ich versuchte es, sehe ich doch den Berg sehr oft, auch auf meinem Arbeitsweg. Damit meine Kollegin das Passende auswählen konnte, malte ich gleich einige davon. Sie kaufte mir gleich 2 Bilder ab! Die anderen stellte ich auf Facebook und merkte, wie gut diese Niesen ansprechen. Obwohl es abstrakte Bilder sind und ich keineswegs etwas Naturgetreues malen möchte, kann jedermann dahinter diesen Berg sehen. Das spricht viele Leute an. Im Moment arbeite ich an einem grossen Niesen. Diesen mache ich jetzt im Auftrag, was eher selten vorkommt. Zuerst schaute ich mir bei meinem Kunden die Wand an, wo das Bild mal hinkommen soll. Es soll 1.2 x 1.8 m gross werden. Ich habe mir gleich drei entsprechende Leinwandrahmen gekauft. Wenn ich die Bilder fertig habe, kann sich der Kunde jenes aussuchen, welches ihm am besten gefällt. Bei Auftragsarbeiten ist immer ein ganz feiner Druck da. Das habe ich eigentlich gar nicht so gern. So kommt es mir ganz gelegen, dass dies eher die Ausnahme ist. Es ist nicht so, dass die Bilder, die mir am besten gefallen und mich am meisten ansprechen, auch bei meinen Kunden oder bei den Besuchern von Ausstellungen am besten ankommen. Da staune ich manchmal, welche Bilder liegen bleiben und welche gekauft werden. Roland: Wieso ist das so? Silvia: Es hat damit zu tun, was man in einem Bild sucht und sieht. Es gibt auch Vorlieben für bestimmte Farben. Manche haben gerne knallige Sachen und finden darin Energie. Ich selber suche in meinen Bildern eher Harmonie und Ruhe. So kann ich einfach nicht mit rot oder grün arbeiten. Diese Farbtöne mag ich nicht so in meinen Bildern. Wenn ich es dann wieder einmal mache, sind es oft gerade diese Bilder, die gut weggehen. Jeder Mensch braucht etwas anderes, hat andere Neigungen. Mir ist einfach wichtig, dass meine Bilder harmonisch sind, Ruhe ausstrahlen und auch mich selber berühren. Roland: Du sagtest mir, dass auch interessierte HobbymalerInnen, oder solche die es werden wollen, dein Atelier benutzen können Silvia: Ja, das ist so. Wenn jemand zu Hause keinen geeigneten Raum und noch kein entsprechendes Material hat, kann er oder sie bei mir seine Kreativität ausleben. Auf Wunsch unterstütze ich die werdenden Künstler auch bei ihrer Arbeit, gebe gerne Tipps in Bezug auf Technik und Bildkomposition. Auch AnfängerInnen begleite ich gerne. Schliesslich aber muss jede*r seinen Stil selber finden. Es geht darum, Mut zu machen um sich malend auszuleben. Es ist manchmal fast lustig zu sehen, wie ängstlich sich viele Anfänger zuerst anstellen, wenn sie ein Bild erschaffen. Jeder Strich, jeder Tupfer, könnte ja schon das ganze Bild vermasseln. Es braucht eine gewisse Lockerheit, dann kann man sich erst entwickeln. Ich engagiere mich auch im Verein «bildende kunstschaffende berner oberland» (bkbeo). Er bezweckt die Förderung und Vermittlung der bildenden Kunst im Berner Oberland. Dort bin ich im Vorstand für «Grafik und Werbung» zuständig. Roland: Verbringst du jetzt, wo du pensioniert bist, die ganze Zeit im Atelier? Silvia: Nein das ist nicht so, wenn ich zu viel da bin, verleidet es mir schnell. Eine komplette Woche könnte ich nicht im Atelier verbringen. Ich brauche viel Abwechslung. Es gibt immer wieder Wochen, wo ich gar nicht in Interlaken bin. Natürlich, wenn ich zum Beispiel viele Bilder für eine Ausstellung abgeben muss, kann es schon sein, dass es für ein paar Wochen ein bisschen intensiver wird. Das war aber auch vor der Pensionierung so. Ich übermale dann auch Bilder, um schneller vorwärts zu kommen und fange nicht mit allen ganz von vorne an. Wenn ich am Malen bin, nimmt das mich so rein, dass mir die Bilder nachts immer wieder im Kopf herumgeistern und ich nicht schlafen kann. Das stört mich sehr, aber ich kann es einfach nicht beeinflussen. Auch deshalb ist die Distanz zwischen Atelier und Zuhause für mich sinnvoll. Mein Atelier ist ein Rückzugsort, in dem ich meiner Kunst frönen kann. Hier kann ich ganz alleine sein. Manchmal kommen aber auch andere Künstler vorbei. Wir trinken zusammen einen Kaffee und tauschen uns aus, oder sie bleiben gleich hier, um in meinem Raum zu arbeiten. Roland: Liebe Silvia, dein Einblick in eine mir eher fremde Welt hat mir sehr gefallen. Jetzt kenne ich schon zwei deiner Standbeine ziemlich gut. Da gibt es noch mehr, ein anderes ist das Ausfahren mit der Harley, aber dazu gibt es vielleicht später mal was. Vielen Dank für deine Geduld, einem Kulturbanausen deine Kunst näherzubringen. Webseite Silvia Stucki www.artstucki.ch Webseite «bildende kunstschaffende berner oberland» www.bkbeo.ch
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