Der Blog rund um All Blacks Thun...
Die Geschichte eines Marathons ist nicht nur jene des Laufs über die 42,195 km, es ist eigentlich für jeden Teilnehmer eine Angelegenheit, die 3 - 5 Monate dauert. Erst gilt es, sich für einen Anlass zu entscheiden, was passt in meine Agenda, hat darin überhaupt ein Trainingsplan Platz? Auch wenn es «nur» ums Durchkommen geht, braucht es viele Wochen Vorbereitung, erst recht, wenn man seine persönlichen Grenzen ausloten will. Da ist es die Regel und nicht die Ausnahme, dass selten alles so genau nach Plan läuft. Alle, die schon einen Marathon gemacht haben, können ein Lied davon singen. Ein unerwartetes Ereignis im familiären Umfeld kommt dazwischen, bei der Arbeit läuft es nicht rund, da kommt eine kleine Verletzung oder eine Krankheit oder es fehlt einem mit der Zeit der nötige Drive, um die vielen Kilometer abzuspulen, und schon wird die Vorbereitung über den Haufen geworfen. So hat jede Läuferin und jeder Läufer nach getaner Arbeit seine eigene Geschichte im Rucksack. Mit Hardy habe ich über den Züri-Marathon 2022 gesprochen. Zuvor bestritt er sicher schon ein Dutzend Marathons, die Hälfte am Berg und die Hälfte auf dem «Flachen». Der erste kam fernab der Schweiz zustande. Nach der Schreinerlehre studierte ich Holzingenieur in Biel. Für das Praktikum bewarb ich mich bei einer in den USA tätigen Consulting Firma, von der man wusste, dass sie immer wieder Studenten engagieren für Praktika. Das hat geklappt, und es wurde mir ein Platz irgendwo in der Pampa der USA zugeteilt. Im letzten Moment gab es noch eine Änderung; ich «musste» nach Long Beach und zwar «mitten in den Kuchen». Long Beach hat ca. ½ Million Einwohner und gehört zur «Greater Los Angeles Area». Ich ging schon immer regelmässig joggen aber nicht etwa ambitioniert oder mit dem Ziel, Wettkämpfe zu bestreiten. So in der Ferne hat man dann halt manchmal verrückte Ideen, da kam der Long Beach Marathon 2007 gerade recht. Ich musste mich ja vor niemandem rechtfertigen. Mein Ziel, den Lauf in 4 Stunden zu absolvieren, habe ich erreicht! Es bleibt mir eine wunderbare Erinnerung an meinen ersten Marathon entlang den Stränden von Long Beach. 2013 kam ich dann zu All Blacks Thun und 2015 nahm ich meinen zweiten Flachmarathon in Zürich unter die Füsse. Wir waren zu Dritt von «All Blacks», Feli Liechti-Odermatt, Erich von Allmen und ich. Mittlerweilen konnte ich mich gut einschätzen, so glaubte ich zumindest, und peilte eine Zeit von 3 Stunden an. Aber es sollte anders kommen; zu schnell gestartet, zu verbissen unterwegs, zu schlecht verpflegt, das war es dann, bei Kilometer 40 musste ich völlig dehydriert aufgeben, ich konnte mich nicht mehr auf den Beinen halten. Übrigens musste auch Erich aufgeben, dafür realisierte Feli eine sehr gute Zeit. Ich sagte mir, das kann’s nicht sein, da gehe ich nochmal hin, da habe ich noch eine Rechnung offen. In den nächsten Jahren konnte ich die 3 Stunden Marke an zwei Flachmarathons knapp unterbieten, einmal in Luzern und einmal 2019 in Edinburgh. Für 2022 nahm ich mir nochmals den Züri-Marathon vor, eine Zeit von 2.50 Std. war mein Ziel. Ich hatte anhand der Trainings das Gefühl, dass dies drin liegen müsste. Mein Hauptziel dieses Jahr ist der Inferno Triathlon, da passt ein längerer Wettkampf im Frühling gut rein, so kommst du auf die notwendigen Kilometer und bist motiviert zu trainieren. Dem war dann auch so, ich hatte eine Super-Vorbereitung, die Form stimmte absolut… bis 3 Wochen vor dem Marathon. Ein «Buckel» am Hals, den ich schon vorher spürte und weswegen ich auch beim Arzt in Behandlung war, wuchs plötzlich stark an. Ich bekam Temperatur, fühlte mich nicht gut und hatte keine Energie mehr. Der Arzt überwies mich sofort ins Spital, wo entschieden wurde, einen Eingriff zu machen. Da man nicht wusste, was genau zum Vorschein kommt, musste dieser Eingriff unter Vollnarkose gemacht werden. Der Knoten wurde herausgenommen, glücklicherweise war es «nur» ein Abszess. Natürlich durfte ich nachher nicht sofort wieder trainieren. Dann, eine Woche vor dem Marathon, konnte ich die Fäden entfernen. Ich wurde entlassen mit der Aussage, dass ich jetzt wieder alles machen könne.
Aber eben, ich war seit über 2 Wochen keinen Schritt mehr gelaufen. Ich sah das gleiche Schicksal kommen wie 2021 am Inferno Triathlon. Auch da war ich topp vorbereitet, freute mich enorm auf den grossen Event, und zwei Tage vor dem Wettkampf erlitt ich eine Schulterverletzung. Ich musste damals schweren Herzens Forfait geben, ein grosser Formaufbau für die Katze... «Jetzt musst du auch diese Übung wieder abbrechen, jetzt ist es halt wieder gelaufen», mit diesen Gedanken schlug ich mich herum. Nach dem ersten Footing wagte ich mich trotzdem auf einen Longjogg über 20 km. Und klar, es ging nicht so gut, die Beine waren leer und der Puls war hoch. Aber eigentlich war es schon in meinem Kopf, du machst den Lauf, sowieso, einfach nur zur Freude, das Hotel ist ja schon gebucht, jetzt gönnst du dir einfach ein schönes Wochenende. Mit dieser Vorgeschichte stand ich am Sonntagmorgen, 10. April 2022 um 8:15 Uhr am Start. Ein kühler Morgen, in der Nacht hatte es weit heruntergeschneit, es war noch nass, aber der Himmel begann sich aufzuklären, gute Laufbedingungen. Den ursprünglichen Plan mit dem 4er Schnitt hatte ich längst aufgegeben. Ich nahm mir vor, die erste Hälfte mit einem 4.30 er Pace zu laufen. Das sollte machbar sein, dann schauen wie es sich anfühlt, einfach weiter joggen und ins Ziel kommen oder, wenn es dann gut geht und im besten Fall, auf der zweiten Hälfte noch zulegen. Ich startete schneller als ich wollte, versuchte immer wieder, mich zu bremsen, und doch hatte ich immer diese 3 Std.-Pacemaker um mich herum. Drosseln, drosseln, drosseln, nur nicht zu schnell, diese Pacer darfst du einfach nicht überholen; gar nicht einfach, wenn du dich so gut fühlst. Nach der 10 km Runde in der Stadt geht’s dem See entlang Richtung Meilen. Bei der Halbmarathonmarke in Herrliberg war es dann so weit, die Hälfte war geschafft. Der Kilometerschnitt lag bei 4:12 und ich fühlte mich gut. An jeder Verpflegungsstation habe ich getrunken und etwas zu mir genommen. «Kannst du es dir erlauben, jetzt einfach zuzusetzen?». Die Frage trieb mich nicht lange um, ich tat es einfach. Es ist ja fast flach und doch hat es in den Dörfern immer wieder ganz leichte Anstiege, die in die Beine gehen, wenn du am Limit läufst. Aber ich konnte ständig Läufer überholen, das ist mental mega cool. Würde es mir auch so ergehen, wenn ich schneller gestartet wäre? Ohne meine Vorgeschichte wäre ich nämlich diesen Marathon sicher deutlich schneller angegangen. Es bildete sich dann ein 2er und später ein 3er Grüppli, wir harmonierten gut und spannten über eine grosse Distanz zusammen. Erst auf den letzten Kilometern ging jeder einfach noch seinen maximal möglichen Pace. Seit der ersten Erfahrung 2013 habe ich immer einen Reserve-Gel als Notration dabei, für den Fall, dass ich Energie tanken müsste… es war aber nicht nötig. Ich überquerte die Ziellinie in einer Verfassung, wie ich es mir zuvor nicht erträumt hätte. Es gelang mir sogar, die zweite Marathonhälfte 10 Sekunden pro Kilometer schneller zu laufen als die erste. Es schaute für Hardy eine Zeit von 2:54:02 heraus, Rang 25 in seiner Kategorie. Den Reservegel hat Hardy also nicht gebraucht, den Late-Checkout des Hotelzimmers aber schon. Duschen, sich noch ein bisschen hinlegen, dieses Spezialangebot das den Läufern geboten wurde, galt es noch zu geniessen. Die Geschichte eines weiteren Marathons war geschrieben. War das doch noch die angestrebte Versöhnung mit dem Züri-Marathon? Hardy & Roland Riedener Bulletin Schwarz auf Weiss: schwarz auf weiss- Informationsbulletin - All Blacks Thun
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